Bedeutend, nicht betäubend. Ein Nachruf auf Marcel Reich Ranicki

Die Zeit ist um, ich bin betroffen, Marcel ist tot, auf wen soll man jetzt hoffen?

Wie oft hat er mich begeistert. Für mich war MRR immer dann am besten, wenn man ihn hören und sehen konnte. Wie oft bin ich wach geblieben, um live zu erleben, wie er zu später Stunde beim „Literarischen Quartett“ in allererster Reihe saß und sein Team aufmischte.

Sein bestes Bonmot gab er allerdings in einem TV-Format, das nicht gerade bekannt dafür ist, in die Tiefe zu gehen. Er war bei „Wetten, dass?“ zu Gast. Stefan Raab hatte gerade mit „Wadde hadde dudde da?“ debütiert und nachdem sich der verstörende Applaus endlich gelegt hatte, fragte Thomas Gottschalk einen etwas ratlos und skeptisch dreinschauenden MRR, ob es ihm denn gefallen hätte. Und während ich mich schon im Tunnel des Fremdschämens befand, antwortete dieser große Geist auf die erdenklich trivialste und genialste Art und Weise.

Er rettete sich nicht in ein bildungsbürgerliches „de gustibus non disputandum est“. Er bemühte keinen Euphemismus, um sich aus Affäre zu ziehen. Auch ging er nicht nonchalant hinweg über diese gedankenlos vorgetragene Beleidigung seiner Intelligenz. Er widerstand dem systemrelevanten Reflex des sofortigen Antwortens ohne vorher nachgedacht zu haben, indem er kurz innehielt und reflektierte.

„Ach wissen sie, Herr Gottschalk“ hob er schließlich an und wiegte seinen Kopf so, wie wir es auch von Peter Scholl Latour oder Helmut Schmidt kennen, wenn sie auf Fragen antworten sollen, die eigentlich keiner Beantwortung bedürfen. „Wissen Sie, was soll ich halten von einer Kunst, die die Betäubung des Publikums voraus setzt?“

Die Zeit ist um, wir sind betroffen, der Vorhang fällt und alle Fragen offen. Danke, verehrter Marcel-Reich Ranicki für Antworten, die mich sprachlos vor Staunen zurück ließen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert